Fisch oder Fleischwurst –
eine Frage der Lebensqualität

Als ich gerade herzhaft in mein dick mit Fleischwurst belegtes Brötchen beiße, fällt mein Blick auf eine Schlagzeile in der Tagespresse: "MS durch Wiener Würstchen!" Nun, da ich immer an Neuigkeiten zu meiner Erkrankung interessiert bin, lese ich den Artikel, während ich mein Fleischwurstbrötchen verzehre.

Und was für Neuigkeiten: Geräucherte Wurst, insbesondere Wiener Würstchen, Lyoner und auch Fleischwurst sollen sich bei MS schädlich auswirken. Fisch sei dagegen absolut erforderlich, wenigstens zweimal die Woche.

Das war’s dann für mich, bekennende Fleischwurstsüchtige und Fischverweigerin. In diesen Momenten hasse ich die MS, die meinen Wohlfühlbereich empfindlich stört. Gut, der Artikel war nicht aus einer medizinischen Fachzeitschrift und soll hier auch nicht weiter kommentiert werden.

Trotzdem ist er ein gutes Beispiel für mein Dilemma: Fleischwurst, die mir schmeckt, oder Fisch, der dem Nervensystem gut tut? Es geht bei der MS doch immer darum, Lebensqualität zu erhalten. Deswegen sollen Schübe vermieden und die Beweglichkeit gefördert werden. Gesunde Ernährung ist sowieso wichtig. Aber ausgerechnet das Bemühen um den Erhalt der Lebensqualität schränkt meine Lebensqualität ein.  

Nachdem mir die Ärzte nach drei Jahren Ungewissheit die Diagnose mitteilten, war ich zunächst erleichtert, weil „das Kind einen Namen hatte“. Und mehr Gedanken habe ich mir damals nicht gemacht. Getreu dem Spruch „Kein Unglück ist so groß wie die Angst davor“ habe ich mich mit der MS nur auseinandergesetzt, wenn ich einen Schub hatte. Dann ging es darum, den Schub mit Cortison so schnell wie möglich zu bekämpfen. War ich wieder hergestellt, kam die MS in die hinterste Schublade meiner Gehirnwindungen. Andere hatten viermal im Jahr eine schlimme Erkältung. Von Erkältungen blieb ich verschont, dafür hatte ich eben viermal im Jahr einen Schub. Fand ich jetzt nicht so schlimm, ging ja vorüber.  

Und dann kamen die Prophylaxe und das Streben nach der Lebensqualität. Obwohl ich zu Schulzeiten immer erst als Letzte in die Teams gewählt wurde, sollte Sport für mich das neue Lebenselixier werden, damit ich beweglich bleibe. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, konnte ich noch die verschiedenen Spritzenmedikamente durchprobieren. Das erste habe ich nicht vertragen, das zweite schon, aber es hat nicht gewirkt. Das dritte hat nach zwei Jahren seine Wirkung verloren. Die Chemo wirkte Wunder, kostete aber leider meine guten Venen. 

Und jetzt soll ich wirklich auf Fleischwurst verzichten und Fisch essen?  

Die MS kann mich mal. Was ist das für eine Lebensqualität, wenn ich nach dem „Genuss“ von Fisch meine Gehstrecke mit grünem Gesicht zurücklege? Ich werde sicher nichts tun, was Schübe provoziert oder meinen Gesundheitszustand verschlechtert. Okay, und ich mache Bewegungstraining, weil es sinnvoll ist. Aber dann hört es auch auf.

Ich lebe mein Leben ohne Rücksicht auf die MS. Wenn sie sich bemerkbar macht, muss ich mich den Beeinträchtigungen eh beugen. Dann kann ich in der restlichen Zeit meine Gedanken auf die angenehmen Dinge des Lebens richten.

Wie zum Beispiel Fleischwurst! Und das ist für mich Lebensqualität.  

Aletta, 39 Jahre, Diagnose 1998